Zeitenwende fürs Lernen / Wie Bildung heute geht, warum sich der Mut zur Transformation lohnt und was man in Zeiten von KI wirklich noch lernen muss – beantwortet Bildungs-Experte Dr. Peter Rösner

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Güby (ots) –

„Die Schulen müssen wieder bildungsfähig werden!“, fordert Dr. Peter Rösner, Physiker und Leiter der Stiftung Louisenlund. Damit unterstreicht Rösner die aktuellen Initiativen des Stifterverbandes und der deutschen Wirtschaft, die mit der „Zukunftsmission Bildung“ ein Bildungssystem entwickeln wollen, das den Anforderungen der Zukunft gerecht wird. Wie sich das umsetzen lässt? Darauf hat die Stiftung Louisenlund in Schleswig-Holstein eine Antwort. Das von Dr. Peter Rösner und der Stiftung Louisenlund entwickelte Bildungskonzept setzt bereits heute um, was der Stifterverband und die Wirtschaft für die Zukunft fordern. Bildung wird hier vom Lernen und nicht vom Lehren her gedacht. Das Konzept versteht Schule als lernenden Organismus, betrachtet Schüler und Schülerinnen in ihrer individuellen Entwicklung – anstelle eines starren Bewertungsschemas. Und es sieht die Lehrenden als berufliche Avantgarde. So wurde aus Louisenlund ein lebendiger, offener Campus. Wie Bildung heute geht, warum sich der Mut zur Transformation lohnt und was man in Zeiten von KI wirklich noch lernen muss – vier Fragen an den Dr. Peter Rösner.

1. Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig, das Bildungsniveau von Bewerbern sinkt. Müssen wir Bildung radikal verändern, um junge Menschen auf Wandel und Unsicherheiten vorzubereiten?

Ich bin überzeugt, dass ein radikales Umdenken im deutschen Bildungssystem unausweichlich ist. Schülerinnen und Schüler möchten zu Recht von ihrer Schule und diesem Land auf die Herausforderungen und Chancen komplexer Veränderungen und der zunehmenden Konkurrenz durch KI-Systeme in der Arbeitswelt vorbereitet werden. Das traditionelle Bildungssystem ist in veralteten Lehr- und Lernmethoden verhaftet. Wenn grundlegende Erfolgsfaktoren wie eine ausreichende Anzahl gut ausgebildeter Fach- und Lehrkräfte oder zeitgemäße Bildungsbauten nicht vorhanden sind, läuft etwas schief in diesem Land. Deutschland ist eines der Top-Einwanderungsländer dieser Welt. Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in Schulen liegt durchschnittlich bei 40 %, in vielen deutlich darüber. Wie reagieren wir auf diese Superdiversität im Schulsystem? Zurzeit mit steigender Überforderung und verschlechterten Rahmenbedingungen. Die Bundeswehr soll kriegsfähig werden – die Schulen müssen wieder bildungsfähig werden. Die Zeitenwende betrifft auch das Lernen in Deutschland.

2. In der Schule sollte es heute nicht allein um Wissensvermittlung, sondern auch um Persönlichkeitsentwicklung gehen. Kreativität, Vorstellungskraft, kritisches Denken – wie kann man ein Bildungskonzept dafür schneidern?

In Louisenlund haben wir ein Bildungskonzept entwickelt, das nicht vom Lehren, sondern vom Lernen her gedacht ist. Schule ist für uns ein lebendiger Organismus, der über die traditionellen Grenzen von Klassenräumen und festen Klassenstrukturen hinausgeht. Sie ist kein Ort der Bewertung, sondern der Entwicklung. Kooperationen mit Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur bereichern das Schulleben. Unsere speziell für die Pädagogik konzipierten Schulgebäude mit großen offenen Lernflächen sind so gestaltet, dass sie den Austausch, aber auch konzentriertes Arbeiten ermöglichen. Schule ist ein spannender Ort der Begegnung und Vielfalt. In Louisenlund respektieren wir die Einzigartigkeit jedes Lernenden und fördern sie als Teil der Gemeinschaft. Schülerinnen und Schüler lernen, in allen Dimensionen des Lebens zu agieren und können sich ausprobieren. Auch die Rolle der Lehrenden verändert sich dadurch nachhaltig. Sie wird anspruchs- und verantwortungsvoller, aber auch bereichernder. Lehrende sollten die berufliche Avantgarde in diesem Land werden. Sie sollten Change Agents am Puls des Wandels sein, die jungen Menschen in einer entstehenden Zukunft Orientierung geben können.

3. Deutschland brauche eine „Zukunftsmission Bildung für das 21. Jahrhundert“, sagt der Stifterverband. Sie haben den Bildungsaufbruch frühzeitig eingeläutet – kann man als Privatschule der Allgemeinheit überhaupt etwas beitragen?

Unsere Erfahrungen können beispielhaft für die Gestaltung des Bildungsaufbruchs sein. Als Privatschule sind wir natürlich teilweise privilegiert. Aber aus dieser Situation heraus entsteht eine ernstzunehmende Verantwortung, Dinge neu zu denken und Lösungen zu erarbeiten. Schneller und flexibler als öffentliche Schulen das vielleicht können. Wir machen diese Erfahrungen durch Hospitationsprogramme für andere Schulen und die Fortbildung von Lehrenden transparent und zugänglich. Wir alle sind Teil des Bildungssystems in Deutschland. Louisenlund zeigt, dass eine tiefgreifende Transformation möglich ist, wenn wir mutig genug sind, bestehende Paradigmen zu hinterfragen. Die „Zukunftsmission Bildung für das 21. Jahrhundert“ erfordert gemeinsame Anstrengungen aller. Dazu gehört, dass sich jeder Einzelne aus seiner Komfortzone bewegt. So könnte es gelingen, ein Bildungssystem zu schaffen, das nicht nur relevantes Wissen vermittelt, sondern jeden Einzelnen darauf vorbereitet, die Herausforderungen und Möglichkeiten unserer Zeit aktiv zu gestalten.

4. Die PISA-Studie 2023 war niederschmetternd: Jugendliche schneiden in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften so schlecht ab wie nie. Viele fragen: Was muss man noch wissen, wenn es KI und Suchmaschinen gibt?

Die Antwort auf die Herausforderungen liegt nicht in der Abkehr von Bildung, sondern in ihrer Neuausrichtung. Wir sollten die Schülerinnen und Schüler darauf vorbereiten, in einer Welt, die von Informationsfülle, Technologie und ständigem Wandel geprägt ist, möglichst glücklich, gesund und erfolgreich zu sein. Dazu gehört, dass sie umfassende Bildung erleben können. Dazu gehören Naturwissenschaften, Mathematik, Sprachen, Gesellschaftswissenschaften, Sport und Musik, aber auch handwerkliche Fähigkeiten. Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, Informationen kritisch zu hinterfragen, kreativ zu nutzen und in einem breiteren sozialen, ökologischen und ethischen Kontext zu denken. Der klassische Bildungskanon, ergänzt durch die Vermittlung der so genannten 21st Century Skills, bleibt somit unverzichtbar für die Bildung resilienter, kompetenter und zukunftsfähiger junger Menschen.

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Inken Grosz-Herzig
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Quelle: ots

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